Energiewende: Neuer Wein in neuen Schläuchen!

Ob Euro, Energiewende oder Schuldenkrise: Die Industrieländer stehen in einer epochalen Umbruchsphase. Die etablierten politischen Kräfte öffnen sich dem Wandel meist erst, wenn er unausweichlich geworden ist. „Mainstream“ Strategien zur Energiewende bauen weiter auf Grosskraftwerke, auf Deregulierung und Marktliberalisierung. Die ab 2020/2022 erwartete „Stromversorgungslücke“ würde vorerst mit Gaskraftwerken und Importen gestopft. Ein struktureller Umbruch, welcher sinkendem Strombedarf und einen deutlich höheren Anteil von neuer erneuerbarer Energieträger – insbesondere der Sonne – bringt, wird erst nach 2025/2030 anvisiert. Beim Aufbau einer neuen, auf dezentrale Erzeugung ausgerichteten Stromwirtschaft kann nur eine konsequente Anwendung des Vorsorgeprinzips Wege aus der Krise weisen.

 Auf der Suche nach dem Gral hatte Parzival die richtige Frage im richtigen Zeitpunkt zu stellen. Das Ringen um Alternativen zur Kernenergienutzung polarisiert die Schweiz seit Jahren. Die Diskussion erinnert an die Suche nach dem heiligen Gral. Dieser Beitrag baut auf der These auf: Die Schweiz (und die EU Länder) leiden nicht primär am Ungenügen von Energie- oder Umweltpolitik. In Schieflage geraten die Industrieländer (und zunehmend auch Schwellenländer) vor allem wegen des stetig wachsenden Energie- und Ressourcenverbrauchs. 2 Dekaden nach dem Mauerfall beginnen die Errungenschaften der Wohlfahrt zu bröckeln. Wir sitzen in einer Wachstums-, Währungs- und Schuldenfalle. Eine wachsende Geldmenge und die Bedienung der damit geschaffenen Schulden erzwingen einen wachsenden Güterstrom. Grünes Wachstum bleibt im bestehenden Finanzsystem eine Fata Morgana.

Die Entschuldung westlicher Staaten wäre, wenn überhaupt, wohl nur durch eine Verarmung breiter Bevölkerungsschichten zu erreichen. Dies scheint, zumindest in Mitteleuropa, politisch nicht durchsetzbar. Staaten und Notenbanken setzen entsprechend auf eine expansive Finanzpolitik. Wachstum ist zur Droge geworden, nicht unser freier Entscheid, wie viel uns davon zuträglich ist. Wachstum erhöht den Güterkonsum und damit den Verbrauch an Rohstoffen und Energie. Gewässer, Landschaft, Biodiversität und Klima geraten in Bedrängnis. Bei uns, wie auf globaler Ebene. Stehen wir ohne Alternative vor der Wahl zwischen Pest und Cholera? Souveränitätsverlust als Staat und „zum Wachstum verurteilt sein“ einerseits oder aber ein Wirtschaftskollaps? Das Opfer der letzten frei fliessenden Bäche kann für die Energiewende nicht zielführend sein, so lange nicht Alternativen zum heutigen von Wachstum und der Globalisierung abhängigen Finanzsystem auch in die Lösungssuche mit einbezogen werden. Das ist der neue Wein.

Diese grosse Zivilisationsfrage lässt sich nicht ib kleinen Kantonen wie Schaffhausen lösen. Die Energiewende bietet Chancen, Fragen anders zu stellen und lokale Netze mit regionaler Wertschöpfung zu stärken. Die so gestalteten „neuen Schläuche“ schaffen Arbeit und machen die Stromversorgung schrittweise autarker. Ein auf regionale Netzwerke gestützter Innovationsschub für die Energiewirtschaft senkt auch die Krisenanfälligkeit für den Fall, dass die Rettungsschirme und Feuerwehreinsätze der Finanzinstitutionen den Problemen nicht mehr Herr würden. Wie neuer Wein in neue Schläuche geführt werden kann, soll nachfolgend in 4 Thesen vertieft werden.

  • 1. Erneuerbare Energien sind eine wunderbare Sache. Der Begriff des „grünen Wachstums“ verschleiert aber, dass ohne „Décroissance“[1], der Abschied vom Wachstumszwang, wir immer wieder von Entscheiden stehen, wie seinerzeit beim „Kraftwerk Rheinau“ in den 1950er Jahren.

Die Erde ist endlich. Die Landfläche, das fruchtbare Ackerland und die Frischwasservorkommen sind begrenzt. Seit 1992, der ersten Rio Konferenz, an welcher die Klimakonvention unterzeichnet wurde, hat der Energieverbrauch der Schweiz um mehr als 10% zugenommen[2], die Siedlungsfläche wurde ausgedehnt und die Treibhausgasemissionen sind seit 1990 nur unwesentlich gesunken. Dies, obwohl im Zuge der Globalisierung in diesem Zeitraum Güterproduktion und damit ein Teil der Arbeitsplätze ostwärts verlagert wurden. 1992 reichte der geschaffene Wohlstand – richtig verteilt – für alle in der Schweiz. Wir hätten seit Rio einen Teil unseres ökologischen Fussabdrucks an Entwicklungsländer abtreten müssen. Analysen zum Stofffluss der Güter zeigt, dass das Gegenteil eingetreten ist. Herkömmliche Analysen übersehen die fatale Wachstumsabhängigkeit, welche das geltende Finanzsystem erzeugt. Die Sub-prime Finanzkrise von 2007/2008 hätte als letzter Weckruf in dieser Sache genügen müssen. Die Schuldenberge und die ungleich verteilten Privatvermögen wachsen seither aber weltweit rasant weiter. Noch fordern Bürgerinnen und Bürger nicht ihre eigenen, nur der Sicherung des Güterkreislaufs verpflichteten Währungen zurück. Es dürfte bald so weit kommen, wenn immer mehr Menschen die Unzweckmässigkeit der alten Lösungsansätze, welche über kurz oder lang alle in Schuldknechtschaft führen, erkennen.

  • 2.     Die Energiewende stützt sich auf das Konzept der 2000-Watt-Gesellschaft. Jede der kommerziellen Formen von Energienutzung beansprucht endliche Ressourcen (auch die Kernenergie) und ist mit Belastungen für Natur und Umwelt verbunden. Durch Nutzung erneuerbarer Energien und der grossen Energiesparpotenziale lässt sich ein angemessener Wohlstand auch ohne Kernenergie und mit einem Bruchteil des heutigen Einsatzes an fossilen Brennstoffen sichern.

Diese Strategie ist Schritt für Schritt wirtschaftlich umsetzbar, braucht aber klare und verbindliche politische Zielsetzungen[3]. Im Grundsatz soll der Nutzung der Sonnenenergie Priorität eingeräumt werden. Darin liegt eine Chance für die Stärkung der Regionalwirtschaft. Die Vision der 2000 Watt Gesellschaft hilft in der Gestaltung von Siedlungen, in der Mobilität aber auch bei der Formulierung von Entwicklungsstrategien von Industrie, Gewerbe und Dienstleistungen die Prioritäten anders zu setzen. Die Landwirtschaft kann als „neuer Schlauch“ auch wieder Energie produzieren, statt nur verbrauchen, benötigt dazu aber eine neue Ausrichtung. Der Selbstversorgungsgrad mit Nahrungsmitteln soll steigen.

  • 3. Fukushima zeigt: Wir brauchen eine Atomaufsicht, welche das Vorsorge- und Verursacherprinzip auch bei der Kernenergie durchsetzt. Auch in High-Tech Ländern wie Japan oder der Schweiz ist die Nutzung der Atomkraft mit weittragenden Risiken verbunden. Die Kernenergie deckt ihre wahren Kosten nicht. Die Risiken sollen durch geordneten Ausstieg mit gesetzlich geregelten Restlaufzeiten auf ein gesellschaftlich akzeptables Mass begrenzt werden. Der Ausstieg ist ein Gebot der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Vernunft und nicht nur geboten, weil neue AKWs nicht mehrheitsfähig sind.

Die ältesten 3 AKWs der Schweiz, Mühleberg und Beznau 1 und 2 weisen im Vergleich zu Anforderungen an Neuanlagen Defizite beim Hochwasserschutz und bei den Reaktorsicherheitssystemen auf, welche durch Nachrüstungen nicht vollständig behoben werden können. Es muss daher Ziel sein, im Dienste der nuklearen Sicherheit in der Schweiz, Mühleberg im Jahr 2013 und die beiden AKW Beznau nach 45 Betriebsjahren ausser Betrieb zu nehmen. Als Überbrückung und Teilersatz dieser AKW, sind unter zweckmässigen Rahmenbedingungen Gaskombikraftwerke als das kleinere Übel zu akzeptieren. Die getätigten Rückstellungen für Stilllegung und Entsorgung radioaktiver Abfälle genügen heute nicht. Nach Einschätzung vom Hans Rudolf Strahm[4] sind diese Fonds für die fünf schweizerischen Atomkraftwerke „sträflich“ unterdotiert. Die Einzahlungen der AKW Betreiber sind im Rahmen gegenwärtig laufenden Überprüfungen deutlich anzuheben, auch wenn dies den Strom in der Schweiz um einen Rp/kWh verteuern würde.

  •  4    Bis Mitte des 21 Jahrhunderts soll die Energieversorgung in den Bereichen Strom und Gebäudeenergie ganz, bei Industrieprozessen und in der Mobilität zu wesentlichen Teilen auf erneuerbaren Energien basieren. Die verstärkte Nutzung der regionalen Potenziale an erneuerbarer Energien stösst dabei aber auch auf legitime Schutzinteressen. Eine zu enge Fokussierung auf erneuerbare Energie führt nicht zum Ziel. Ebenso wichtig ist der Strukturwandel der Wirtschaft hin auf eine 2000 Watt Gesellschaft.

Bundesrat, National- und Ständerrat wie die Schaffhauser Regierung[5] stellen ihren Beschluss zum Ausstieg aus der Kernenergie auf die Grundlage einer neuen Energiepolitik mit den Pfeilern Energieeffizienz und erneuerbare Energien ab. Diese Stossrichtung stimmt. Die Energiewende soll sich deshalb auf 3 Pfeiler abstützen:

a)      die Produktion aus erneuerbaren Energieformen soll dezentral und überregional – vorangetrieben werden. Die Finanzierung von Projekten regionaler Bedeutung wird über eine Förderabgabe sichergestellt.

b)      Gesetzlich verankerte Ziele zur Erhöhung der Energieeffizienz: Der Kanton Basel weist den Weg mit einer Finanzierungs- und einer Lenkungsabgabe auf Strom (ökologische Steuer Reform).

c)      Suffizienz: Wir stehen an einer Wegkreuzung: Die Ressourcen der Erde sind übernutzt, gleichzeitig sind Kernenergie und fossile Brennstoffe abzulösen. Der Wachstumszwang ist losgelöst vom Ausstieg aus der Kernenergie zu hinterfragen. Er frisst sonst, wie die Erfahrung der Vergangenheit zeigt, die Früchte der erzielten Effizienzgewinne wieder auf. Die praktischen Lösungen auf diesem Weg werden noch kontrovers diskutiert.

Die  Probleme der Zukunft mit den Rezepten der Vergangenheit lösen zu wollen, könnte Störungsanfälligkeit der Volkswirtschaft noch zusätzlich erhöhen. Risiken ergeben sich etwa aus den hohen Anfangsinvestitionen der Energiewende. Die Tragbarkeit für einkommensschwächere Bevölkerungsschichten ist dann gegeben, wenn Energieproduktivität und Energiepreise im Gleichschritt steigen. Die Anpassung der Strompreise soll in kleinen stetigen Schritten erfolgen. Regionen, die in dezentrale Versorgung investieren, mögen kurzfristig höhere Kosten zu tragen haben, gewinnen aber auf längere Sicht Vorteile. Sie können Turbulenzen an den Weltmärkten mit geringeren Anpassungskosten und einer höheren Lebensqualität für ihre Einwohner bewältigen. Dies könnte zum wichtigen Merkmal des Schaffhauser „kleinen Paradieses“ werden. Die  ersten Schritte dazu sind schon gemacht . Packen wir es an, In kleinen Schritten von Seiten der Politik und privaten „Investitionen“. In der Entwicklungszusammenarbeit habe ichgelernt: Auf mittlere Frist schafft die Volkswirtschaft, das, was Menschen sich in ihr Leben wünschen soweit die Grenzen von Natur und Raum dies zulassen. Und unsere Wünsche sollten denen anderer nicht diametral entgegenstellen. Wenn dies der Fall ist, öffnen sich in der Politik Grabenkriege. Die Zeit solche Grabenkriege auszutragen, fehlt heute.

Othmar Schwank, Rüdlingen zum Atomausstiegsbeschluss des Kantonsrates Schaffhausen


[1] Balthasar Glättli: 8 Millionen Schweiz – Wo liegt das Problem;  P.S vom 23. August 2012

[2] Von 800PJ (1992) auf 911PJ im Jahr 2010 entspricht einer Zunahme von rund 14%. Die Bevölkerung der Schweiz nahm im gleichen Zeitraum von 6.87 Mio (1992) auf 7.82 Mio (2010) zu.

[3] Quellen: Regionalstudie 2000-Watt-Gesellschaft Bodensee, Kurzfassung Seite 6-7, Charta der 2000-Watt-Städte in der Bodenseeregion, www.konstanz.de/umwelt/01064/01083/04124/index.html

[4] Hans Rudolf Strahm: „Die Endlagerung der radioaktiven Abfälle ist eine ökonomische Geisterfahrt“, Kipa 21.08.2012